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Südtiroler Gemeinde Brenner will italienische Grenzabfertigungskabinen am 3. Mai abbrechen
28.04.2004
Grenzabfertigung am Brenner, im Vordergund italienisches Zollhaus
Grenzabfertigung am Brenner, im Vordergund italienisches Zollhaus
Schleifung für ein Shoppingcenter stösst auf heftiges Pro und Kontra Institut für Baugeschichte der Universität Innsbruck und das Kuratorium für Technische Kulturgüter in Südtirol plädieren für Erhaltung des historischen Kernensembles um den Schlagbaum Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung am 1. Mai hätte das Abbruchdatum Symbolcharakter: Bürgermeister Christian Egartner will die ehemaligen italienischen Grenzabfertigungskabinen an der Brennerstaatsstrasse abbrechen und damit einen ersten Anfang setzen. Der Schlagbaum wurde nämlich sowohl auf österreichischer wie auf italienischer Seite bereits anlässlich des Falles der Grenzen zwischen Österreich und Italien am 1. April 1998 entfernt. Seither gibt es auf Grund des Schengen-Abkommens keine Grenzabfertigungsformalitäten mehr. Die Grenzgemeinde Brenner-Gossensass will daher nach Worten ihres Bürgermeisters schon seit längerem mit der Grenze von 1918 ?aufräumen?? und die überflüssig gewordenen Strukturen wie an anderen ehemaligen Grenzen in Europa dem Erdboden gleichmachen. Die Schleifung ist laut einer von der Südtiroler Landesverwaltung genehmigten Wiedergewinnungsstudie für die nach dem Grenzabbau verwaiste Grenzgemeinde vorgesehen. Seit der Einführung des Euro hat der Brenner nämlich auch als Einkaufsort Schaden gelitten. Der Abbruch ausgedienter Grenzstrukturen ist bisher am stillschweigenden Widerstand der italienischen Staatsbehörden gescheitert: im Gegensatz zu anderen Staatsimmobilien, die auf Grund der Autonomie dem Land Südtirol und dann den Gemeinden übertragen worden waren, sind die Grenzbauten am Brenner weiterhin Eigentum des italienischen Staates. Der Gemeinde Brenner ist es jedoch Ende des Jahres 2003 gelungen, dem italienischen Automobilclub ACI dessen Anteil am Grundstück abzukaufen, auf dem das ehemalige italienische Zollhaus steht. Die Schleifung der Grenzkabinen soll nach Worten von Bürgermeister Egartner eine von der österreichischen Nachbargemeinde Gries angestrebte Verkehrslösung erleichtern. Die teilweise Neutrassierung der Bundesstrasse würde die derzeitige Insellage des einstigen österreichischen Zollhauses entschärfen ? derzeit führt diese Strasse nämlich sowohl in südliche wie in nördliche Richtung noch unmittelbar am ehemaligen Schlagbaum vorbei Die staatlichen Behörden in Bozen erklärten sich überrascht von der Schleifungsaktion. Auch der Südtiroler Landeskonservator Helmut Stampfer erklärt sich über diese Abbruchaktion nicht informiert. Politisch zeichnet sich schon jetzt ein heftiges Pro und Kontra ab. Es gibt jedoch auch ernsthafte fachlich begründete Bedenken gegen Willküreingriffe, das an der bekanntesten Grenze in Europa am Brenner das einzige weitgehend intakt erhaltene Ensemble zerstören würde, das an eine der leidvollen europäischen Grenzen erinnert. Bürgermeister Egartner hatte den Beginn des Abbruchs ab 3. Mai zum Auftakt einer Bauaufnahme angekündigt, die das Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege der Universität Innsbruck in Zusammenarbeit mit dem Kuratorium für Technische Kulturgüter in Südtirol derzeit durchführt. Das historische Kernsemble an der italienischen und österreichischen Seite der Brennergrenze wird für ein Bauten-Glossar erhoben, das im Zuge eines Interreg-Projekts eine baugeschichtliche, kulturelle und zeitgeschichtliche Bestandsaufnahme anstrebt. Prof. Rainer Greafe, Leiter des Instituts für Baugeschichte, misst den historischen Zweckbauten am Brenner einen Wert von europäischer Prägnanz zu, der sich bei Millionen von Italienreisenden eingeprägt hat. Ein Grenz-Museum mit Blick auf die europäische Geschichte des Brenner im ehemaligen österreichischen Grenzhaus wird von der österreichischen Gemeinde Gries zusammen mit der Südtiroler Nachbargemeinde Brenner angestrebt. Seit dem Wechsel des ehemaligen Tiroler Kultur-Landesrates Günther Platter an die Spitze des Wiener Verteidigungsministeriums haben diese Pläne jedoch in Tirol offensichtlich ihren politischen Sponsor verloren . Prof. Graefe zeigt sich besorgt über unkoordinierte, voreilige Eingriffe am Brenner. Bürgermeister Egartner hatte mittelfristig nämlich den Abbruch des italienischen Grenzhauses und der alten Grenzwaage für den Neubau eines ?Brennershops? mit 16 Läden und großem Parkareal angekündigt. Nordtirol hatte auf ein direkt an der Autobahn, anstelle des ehemaligen österreichischen Zollbahnhofs geplantes Einkaufszentrum verzichtet, zugunsten des Südtiroler Projekts, die Ortschaft Brenner als bekannte und bei Millionen von Urlaubern beliebte Einkehr und Einkaufsstätte aufzuwerten. Über den Brenner waren schon im Mittelalter Kaiser und Könige zur Krönung nach Rom gezogen. Die Brennerbahn von 1867 bewirkte einen mächtigen Aufschwung des Fremdenverkehrs ? Gossensass und der Brenner mit dem fashionablen Badehotel lockten zu Zeiten der Monarchie ein prominentes Publikum an. Nach dem Ersten Weltkrieg im November 1918 war Südtirol zu Italien geschlagen worden, die Annexion wurde mit dem ?Friedens-Diktat? von Saint Germain vom 10.9.1919 endgültig besiegelt. Der neue Grenzstein wurde am 13. Oktober 1921 in Anwesenheit des italienischen Königs Viktor Emanuel III. enthüllt. Die unter dem Mussolini-Regime entstandenen Grenzbauten wurden nach den Südtiroler Sprengstoffanschlägen vom Juni 1961, als am Brenner auch eine Visumpflicht gegen einreisende Österreicher verhängt wurde, zu einer Grenzbastion mit massiver Polizei- und Militärpräsenz hochgerüstet. Seit dem Fall der Grenzen stellt sich die Frage, was nun aus den verlassenen Bauten werden soll. Bozen, 28.4.04 e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spam geschützt. Zur Anzeige muss Javascript aktiviert sein. Tel. 0471 301 401