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Parcours:



Die Geschichte der Kohlererbahn
29.11.1999
In Zusammenarbeit mit den führenden Firmen im Bahnsektor untersuchte der geschäftstüchtige Gastwirt Josef Staffler aus Bozen verschiedene Möglichkeiten, um Kohlern mit dem Bozner Talkessel zu verbinden.
Bereits im Jahre 1900 legte die österreichische Firma Roessemann & Kühnemann ein Projekt für eine Einseil-Umlaufgondelbahn vor. Im darauffolgenden Jahr wurde der Bau einer Standseilbahn erörtert, ein Projekt, das schlussendlich wegen zu hoher Kosten nicht verwirklicht werden konnte. Im Mai 1905 genehmigten die Behörden die Errichtung eines elektrisch betriebenen Lastenaufzugs für den Transport von Material, nicht aber von Personen. Die Firma Haase und Sohn aus Graz lieferte dafür 10 hölzerne Portalstützen und einen 45 PS starken Elektromotor. Erst nach weiteren mühevollen Versuchen, die Behörden von einer Schwebebahn für Personen zu überzeugen, erfolgte die Genehmigung des Projektes im Jänner 1907. Die erste Kohlererbahn wurde von der Simmeringer Maschinen und Waggonbau Fabrik Ag unter der Leitung von Ing. Haas verwirklicht. Mit dieser neuartigen Bahnverbindung sollten 6 Personen im Pendelbetrieb den Höhenunterschied von 795 m zwischen Bozen und Kohlern bewältigen.

Bevor die neue Aufstiegsanlage für den Personenverkehr freigegeben wurde, verlangte die Bezirkshauptmannschaft Bozen weitere gezielte Sicherheitsvorkehrungen und eine Fangvorrichtung, die im Falle eines Zugseilbruches die Gondel auffangen sollte.
Nach Erfüllung der Auflagen, wurde am 27. Juni 1908 die weltweit erste Seilschwebebahn von Bozen nach Kohlern für fahrtauglich befunden und am 29. Juni 1908 für den Personenverkehr eröffnet.

Ähnlich wie die Bahn wurden 1908 auch die Stationsvorrichtungen der Materialseilbahn in einem Umbau den Anforderungen der Personenseilschwebebahn angepasst. Pläne dieser Konstruktionen sind nicht mehr auffindbar. Erhalten geblieben sind hingegen die von Fr. Pranghofer (1907) gefertigten Planzeichnungen für eine Berg- und eine Talstation der Kohlererbahn, die jedoch unverwirklicht geblieben sind.
Fotografien der Stationsgebäude belegen, dass die Wagenhalle der Berg- und der Talstation jeweils durch ein geneigtes Pultdach abgeschlossen war und somit ein wichtiges architektonisches Gestaltungselement späterer Stationsgebäude aufwies.

Der beliebten Kohlererbahn war kein langes Glück beschieden. Das k. u. k.-Eisenbahnministerium, dem die Zuständigkeit für Seilschwebebahnen übertragen worden war, forderte neue Sicherheitsauflagen. Aus diesem Grund wurde nach nur zwei Jahren am 1. Oktober 1910 der Betrieb der Kohlererbahn und auch der des Gasthofes Kohlern wieder eingestellt.

Es spricht für die unternehmerische Weitsicht des Betreibers, dass er auf diese amtliche Verfügung weder mit behelfsmäßigen Sicherungsmaßnahmen noch mit Resignation reagierte, sondern eine neue Bahn mit deutlich höherer Förderleistung in Auftrag gab. Bereits zu Beginn des Jahres 1911 wurde ein von der Firma Bleichert & Co entwickeltes Bahnprojekt genehmigt und Mitte April desselben Jahres mit den Bauarbeiten begonnen. Dabei leistete die noch stehende und funktionstüchtige ?alte Kohlererbahn? wertvolle Hilfe als Materialseilbahn.
Im Zuge dieser Bauarbeiten wurde die Talstation ca. 150 m nach unten verlegt und in dem von Architekt August Fingerle entworfenen Stationsbau untergebracht. Obwohl die neuerrichtete Bahn bereits im Spätsommer 1912 betriebsfertig gewesen wäre, folgten umfangreiche Prüfungen durch das Eisenbahnministerium, das bei dieser Gelegenheit neue Vorschriften für Seilschwebebahnen festgesetzt hatte und somit von Josef Staffler weitere Sicherheitsvorkehrungen forderte. Als auch die zuletzt geforderten Auflagen erfüllt waren, führte das Eisenbahnministerium eine Reihe von Testfahrten durch, um Richtwerte für die Ausarbeitung von technischen Vorschriften für Seilschwebebahnen zu ermitteln. Nach der abschließenden polizeilich-technischen Besichtigung durch den Stadtmagistrat von Bozen konnte die zweite Kohlererbahn am 10. Mai 1913 den Fahrbetrieb aufnehmen.

Die Stationsgebäude der 1912 errichteten Zweiseilpendelbahn wurden nach Entwürfen des in München geborenen und seit 1906 in Bozen ansässigen Architekten August Fingerle erbaut. Nachdem Gustav Birkenstaedt mit den 1912 vollendeten Stationsgebäuden der Vigiljochbahn einen funktionalen Prototypen geschaffen hatte, war Arch. Fingerle als nächster mit der neuen Bauaufgabe konfrontiert. Es galt, eine den technischen Anforderungen entsprechende Lösung zu finden und diese in ein ansprechendes äußeres Erscheinungsbild zu kleiden.

Wertanalyse:
Die Geschichte der Kohlererbahn zeigt beispielhaft die rasante Entwicklung der technischen und sicherheitstechnischen Standards: Erinnerte die erste Kohlererbahn noch weitgehend an eine für den Personentransport adaptierte Materialseilbahn, so war die ca. 3 Jahre später projektierte zweite Kohlererbahn eine in allen Details weiter ausgereifte Zweiseilpendelbahn mit innovativen Sicherheitsvorrichtungen.

Das alpine Landschaftsbild verlangte nach einer Anpassung der Bahntechnik an das steile Gelände und förderte somit eine Entwicklung, die in direkter Linie von der klassischen Eisenbahn zur Personenseilschwebebahn führte. Die in den Jahren 1907/08 entstandenen Bergbahnen um Bozen (Ritten und Guntschnaberg) markieren wichtige Entwicklungsschritte dieser bahntechnischen Eroberung des Steilgeländes.
So meisterte etwa die im Jahre 1907 eröffnete Rittnerbahn (von Bozen nach Oberbozen und Klobenstein) im Abschnitt von Bozen nach St. Magdalena mit Hilfe eines Zahnstangengetriebes eine durchschnittliche Steigung von 22,2%. Deutlich größere Steigungen konnten drahtseilgezogene Standseilbahnen, die das Prinzip des Gegengewichts nutzten, überwinden.
So bewältigte die ebenfalls im Jahre 1907 in Betrieb genommene Standseilbahn von Bozen zur Virgl eine maximale Steigung von 70%. Doch erst das Prinzip der Seilschwebebahn, wie es mit der Kohlererbahn im Jahre 1908 begründet worden ist, vereinte entscheidende Vorteile in einem System: Seilschwebebahnen erlaubten größere Freiheiten bei der Wahl der Bahntrasse, sie kamen ohne den kostspieligen Unterbau einer Standseilbahn aus und boten durch ihre Distanz zum Gelände einen weitaus besseren Schutz gegen Steinschlag und Lawinen.