gfi gfi
Parcours:



Allgemeine Vorbemerkungen - Die Bahnlinie Verona-Bozen zwischen Salurn und Bozen
23.10.2006
Die Strecke Salurn-Bozen, die für Südtirol im Rahmen dieser Untersuchung in Betracht kommt, ist die letzte Teilstrecke der 1847 von der österreichischen Regierung beschlossenen Bahnlinie Triest-Venedig-Verona Trient-Bozen. Diesem Beschluss gingen lange internationale Verhandlungen und Planungen voraus.

Die österreichische Regierung hatte sich ursprünglich nicht an den Finanzierungen des Eisenbahnbaus beteiligen wollen und überließ die Planungen, die Finanzierung und Durchführung von Bahnstrecken in den 30er Jahren des 18.Jhts.privaten Initiativen. In Anbetracht der sich rapide entwickelnden Zukunftstechnik Bahn und auf Druck interessierter wirtschaftlicher kam die österreichische Regierung zu neunen Entschlüssen und nahm die Planungen für ein Gesamtnetz der k.k. Monarchie selber in die Hand. 1841 wurde durch Regierungsbeschluss eine Generaldirektion der Staatsbahnen gegründet, deren Leitung dem venezianischen Ingeneur Ermenegildo Francesconi übergeben wurde. Dieser gründete 1846 eine Gesellschaft zum Bau der Eisenbahnstrecke Triest-Venedig-Verona-Trient-Bozen Brenner, für die der Veroneser Ingenieur einen Entwurf für die Strecke durch Tirol anfertigte. 1848 wurde der 1799 in Primör geborene Ingenieur Luigi von Negrelli-Moldelbe mit der Oberleitung zum Bau dieser Strecke beauftragt. Negrelli – übrigens später Planer des Suezkanals – hatte bereits 1837 Erfahrungen in der Planung der Bahnlinie Kufstein- Innsbruck gesammelt.

Entscheidend für die Realisierung war aber wohl ein Abkommen, das Österreich und Bayern am 21. Juni 1851 unterzeichneten und welches die Verbindung der Bahnstrecken beider Länder vorsah. Unter anderem verpflichtete sich die österreichische Regierung die Bahnstrecken Kufstein- Innsbruck und Verona –Bozen bis 1858 fertigzustellen - mit dem Ziel eine Eisenbahnverbindung zwischen Innsbruck und Bozen über den Brenner zu errichten

Negrelli, im August 1849 mit der Oberdirektion für Straßen-, Wasser-, Eisenbahn- und Telegrafenbau berufen, machte sich energisch an die Arbeit: am 2. Juli 1849 wurde der Abschnitt der Bahnstrecke Vicenza-Verona eröffnet. Gleichzeitig erarbeitete er die Planung für die Linie Verona-Brenner unter wirtschaftlichen und militärischen Aspekten, ein Entwurf, dem bereits ein europaverbindendes Konzept zugrunde lag. Die Wahl der Trassierung entschied mit über die wirtschaftliche Zukunft und die gesellschaftliche Entwicklung der durchfahrenen Länder ab. Am 1. Juli 1853 wurde der Entwurf Negrellis für den Abschnitt Verona-Bozen genehmigt und im September 1853 begannen die Bauarbeiten am Abschnitt Verona-Trient.

Der Krieg zwischen Italien und Österreich endete 1859 mit der Übernahme der lombardischen Bahnstrecken durch Italien während Österreich die Strecken der sog. Drei Venetien (Triest-Udine-Trient) vereinnahmte und die dazugehörigen Linien der „K.K. Privilegierten Südbahn-Gesellschaft“ unterstellte.

Die Ausführungsarbeiten zur Strecke Verona-Bozen wurden von Luigi von Negrelli in fünf öffentlichen Ausschreibungen vergeben. Das fünfte und letzte Los fiel an das Bauunternehmen Paolo Venotti und betraf die Strecke von St. Michael an der Etsch, also 9 km südlich von Salurn, bis Bozen. Die Leitung der Arbeiten von Ala bis Bozen wurde dem Oberingenieur Giovanni Bartel übertragen. Für die Gebäude der Bahnhöfe war Ernst Hranatsch verantwortlich. Beide arbeiteten unter der Oberaufsicht des k.k. Inspektors Gedone Scotini. Die vorwiegend italienischen Arbeiter verdienten mit drei bis vier Gulden am Tag relativ gut – hatten aber einen zwölf Stunden Tag.

Im September 1855 wurde Negrelli in verleumderischer Weise wegen Korruptionsverdachtes aller seiner Ämter enthoben. Im Februar 1856 setzte Kaiser Franz-Joseph nach einer langen Unterredung mit Negrelli diesen wieder in alle seine Ämter ein. Luigi von Negrelli konnte jedoch die Fertigstellung „seiner“ Bahnlinie nicht mehr erleben – er starb am 1. Oktober 1858 in Wien.

Am 23. März 1859 wurde die Strecke Verona-Trient eröffnet. Am 16.Mai des gleiche Jahres wurde die Bahnstrecke Trient-Bozen für den allgemeinen Personenverkehr geöffnet – damit war die Bahnlinie Verona-Bozen in Betrieb. Bei der Eröffnung gab es zwischen Trient und Bozen sechs Bahnhöfe: Lavis, St. Michael an der Etsch, Salurn, Neumarkt und Auer. Die Bahnhöfe Salurn, Magreid / Kurtatsch, Branzoll und Leifers wurden in den folgenden Jahrzehnten gebaut um auch diese Orte am wirtschaftlichen Aufschwung durch das neue Verkehrsmittel teilhaben zu lassen.

Mit der Eisenbahn kam auch der Wohlstand. Die ehemals sumpfige Talebene des Unterlandes wurde zur Trassierung der Eisenbahn mit Kanälen entwässert und eine fruchtbare Obstlandschaft entstand. Die Steine der Porphyrbrüche bei Leifers und Branzoll wurden mit der Bahn in die gesamte k.k. Monarchie verschickt. Der Weinexport blühte auf. Dabei war der Einfluss auf die Städte durch das Passagieraufkommen ein anderes als der auf die kleineren Orte. Die Bahnhöfe von Verona, Trient und Bozen hatten eine starke Wirkung auf die industrielle Entwicklung und Stadterweiterung. In den Landgemeinden entwickelte sich der Export von Agrarprodukten und Baumaterial. Allerdings lagen die Bahnhöfe im Unterland Südtirols von den Ortschaften soweit entfernt, daß kein rechter Kontakt für die Reisenden aufgebaut werden konnte und mit wachsender Motorisierung die Bevölkerung das eigene Fahrzeug bevorzugte.

Die sechs Bahnhöfe an der Strecke Salurn-Bozen zeichnen sich durch ihre Architektur besonders aus. Bis auf den Bahnhof Leifers, eine später errichtete einfache Holzfachwerkkonstruktion, und den Bahnhof Auer, der nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges in veränderter Form wieder aufgebaut wurde, sind diese Gebäude in einem repräsentativen Stil errichtet, der an italienische Villen auf dem Lande erinnert. Ein zurückhaltender Klassizismus, der auf symmetrisch angelegten Flügelbauten mit einem betonten Mittelkorpus beruht, vermeidet alle etwa peinlich wirkenden Anklänge an alpine Bauformen. Die Bahnhöfe strahlen eine gewisse Noblesse aus, welche sicherlich den Geschmack der damaligen, meist großbürgerlichen Reisenden gut getroffen haben mag. Auch heute noch sind sie durch diese Haltung als öffentliche Gebäude charakterisiert und gut erkennbar. Als in der Gestaltung und Funktion systematisierte Bauten des neuen Verkehrsmittels sind sie wertvolle Dokumente einer Zeit, in welcher der Grundstein für unsere heutige Mobilität und den damit verbundenen Wohlstand gelegt wurde. In ihrem gestalterischen Zusammenhang bilden sie ein in dieser Form einmaliges Ensemble, das unbedingt geschützt, gepflegt und mit entsprechenden Funktionen erfüllt werden muß. Die Bahnhöfe zwischen Salurn und Bozen tragen wesentlich zur baulichen Identität Südtirols bei – eine Verpflichtung für die Planungen der Landesregierung.

Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt BDA

Brixen im Juni 2004