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Parcours:



Kulturevent Brenner - Lebendige Rastatte?
12.10.2005
Inhalt
Lebendige Rastatte?
Museumsideen
Kunstevents
Programm
Kino am Brenner
Zollhauser und Grenzareale
Am Bahnhof
Zeitzeugen berichten
Presseecho
Weitersurfen

Wie man am Brenner lebte


konnte man bei einer Diskussion mit Zeitzeugen, die von Paolo Mazzucato und Elisabeth Baumgartner geführt wurde, erfahren.
Die Teilnehmer waren Primo Sieff, ein gebürtiger Trentiner, der den Brenner als Bub noch zu Zeiten des Mussolini-Regimes erlebt hatte; Karoline Bruno, die bei der Finanzpolizei als Übersetzerin tätig war und einige Anekdoten erzählen konnte; der langjährige österreichische Zöllner Josef Pitterl der einst auf die Pirsch gegangen war, um trickreichen Wein- und Lederjackenschmugglern das Handwerk zu legen; der Gemeindearbeiter Ferdinand Plattner, der Lokalhistoriker und Brenner-Experte Günther Ennemoser sowie Daniel Steckholzer, der als langjähriger Angestellter des italienischen Automobil-Clubs ACI weiß, welche "Goldgrube" der Brenner für Italien war.

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Vor der Diskussion fand eine Führung durch den Wohntrakt des italienischen Zollhauses statt, welche gut besucht war.
Das Gebäude, 1933 erbaut, war immer schwer zu beheizen gewesen, erinnerte sich der Gemeindearbeiter. Und so mancher, der aus dem Süden Italiens an die nördliche Grenze versetzt worden war, litt unter Heimweh und unter dem rauen Klima.
ImageNur noch ein Schaff im Bad und ein paar Teller in der Küche erinnern an die einstigen Bewohner.
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Zeitzeugeninterview vom 23.08.02:

Interviews mit Karoline Bruno, Rudi Plank, Ferdinand Plattner und Daniel Steckholzer
Karoline Bruno:
.. im Zusammenhang mit dem Brenner interessiert mein persönliches Leben überhaupt niemanden. Ich bin Kärntnerin und vor 40 Jahren hier hergekommen, 50 werden das bald.
Ich habe es leichter gehabt mit der Problematik der Grenze, weil ich selbst aus einem zweisprachigen Gebiet komme. Ich komme zwar aus Klagenfurt, aber dieses ganze Schlamassel mit der Zweisprachigkeit habe ich schon früh mitbekommen. Da war ich zwar noch sehr jung, habe es aber von Eltern und Grosseltern durch Erzählungen mitbekommen.

...1965 bin ich zum Brenner gekommen, vorher war ich italienweit unterwegs. Übersiedelt nach Italien bin ich in den 57er Jahren, ab 53 habe ich teilweise in Italien gearbeitet und weiters in Deutschland.
Meine Aufgabe ist die des Dolmetschers; in dieser Qualität bin ich auch am Brenner gelandet und habe da am Brenner gearbeitet.

..Ich habe in schon sehr jungen Jahren die Ausbildung gemacht, musste allerdings wie ich nach Südtirol gekommen bin, meine Matura nachholen, die wurde ja nicht anerkannt in Italien für den Staatsdienst, in den ich eingetreten bin.
Sehr wohl für die Südtiroler, die in Innsbruck studierten, das war schon dazumal dieses Paket, wodurch die Anerkennung gestattet wurde, nicht aber von anderen österreichischen Bundesländern. Also wer in Wien oder Graz studierte, musste die Prüfungen nachmachen.

..Ich hab nicht das Dolmetschinstitut gemacht, ich hab die Oberstufe gemacht und in der Schulzzeit schon Englisch, Französisch, Italienisch gelernt und dann mich weiter ausgebildet, aber nicht das Dolmetschinstitut.

..Ich habe nach Italien geheiratet, bin dann zunächst in Rom gewesen, dann in Italien gelandet und dort hat es dann eine Stellenausschreibung für Dolmetscher gegeben. Daran habe ich teilgenommen und habe diesen Wettbewerb gewonnen und bin dann von Meran an den Brenner versetzt worden.

..Richtig, mein Mann hat die Versetzung nach mir bekommen. Wir sind nicht gerne von Meran an den Brenner. Ich kann mich noch gut erinnern: Es war April, in Meran war blühender Frühling. Ich war mit einem leichten Tailleur bekleidet, natürlich dazumal mit hohen Stöckelschuhen, bin am Brenner angekommen, ausgestiegen und der Schnee ging mir bis zu den Knien. Daraufhin bin ich nach Meran zurück und hab gesagt: „An den Brenner kriegts ihr mich nie!“
..Und dann bin ich doch am Brenner gelandet und hier geblieben, nun schon seit 37 Jahren. (seit 1965) Aber es ist ein Zeichen dafür, dass man so schlecht am Brenner nicht lebt, wie man es immer wieder unterstreicht.

..Ich habe am Brenner oberhalb der Bank gewohnt, zwei-, dreimal habe ich den Wohnort geändert. Das sind auch heute noch Sozialwohnungen. Private Wohnungen gibt es am Brenner keine. Die der Geschäftsleute halt, aber kaum privater Wohnungsmarkt. Alles Eisenbahner und Sozialwohnbauten.

..An und für sich lebte ich mich überall rasch ein. Ich hab nie Heimweh und lebe mich überall rasch ein. Das ist kein Problem für mich. Ich habe damals in der Finanzkaserne gelebt und gearbeitet – der Kontakt war hauptsächlich mit diesen Leuten. Das waren hunderte junge Leute. Mit der Bevölkerung hatte ich Kontakt durch meine beiden Kinder, die dazumal in die Schule gingen. Da kriegt man rasch Kontakt mit anderen Eltern.

..Die Finanzkaserne war die, wo jetzt die Polizei drin ist, die im Süden. Das war noch das alte Gebäude, das scheinbar 1819 gebaut worden ist, wenn ich mich richtig entsinne. Dazu hätte ich sogar einen Bildband, wo ein paar Aufzeichnungen drinnen sind, den könnte ich ihnen mitbringen, damit sie ihn durchsehen.

..Ich glaube 1986 ist die alte Kaserne abgerissen worden. Mitte der 80er Jahre. Wenn ich mich nicht täusche, dann 1982…


..Mein Mann war auch Finanzbeamter. Mein älterer Sohn war nach dem Militärdienst Zollbeamter und der Jüngere ist bei der Polizei.
Ja, der Ältere hat in auf der Autobahn gearbeitet. Der Jüngere war zuerst bei der Polizei, hat dort seinen Militärdienst absolviert und ist dann ins ACI – Büro.

….Ich glaube der Steckholzer David war der, der am längsten beim ACI gearbeitet hat. Wann hat die Autobahn aufgemacht? Ich glaube 1972…

Ferdinand Plattner ..Ich bin Gemeindearbeiter gewesen fast 30 Jahre da am Brenner. Meine tägliche Arbeit war die Straßenreinigung, der ganze Verkehr ging ja über den Brenner, hauptsächlich mit LKWs.
1968, am 01. April, habe ich angefangen zu arbeiten. Die LKWS sind auf der Staatsstraße über den Brenner gefahren. Nachts war das richtig störend, weil im Dorf drinnen bei der Kontrolle die „Finanzer“ alles registrieren mussten, ob die Ware verzollt ist oder nicht.

..Weil die Straße eine leichte Steigung hat, sind wir in der Nacht vom starken Motorenlärm immer aufgewacht. Das war sehr belastend. Ich habe 200 Meter weiter dahinten gewohnt, dort wo die Gemeinde ist, neben der Kirche.



DER VERKEHR
Karoline Bruno:
..Wir haben immer in einer blauen Wolke gelebt, das war sogar innen in den Häusern. Man konnte die Fenster nicht einmal öffnen, denn die Fahrzeuge, die Schwerfahrzeuge, sind oft stunden- und tagelang am Brenner gestanden. Sie mussten durch die tiefe Temperatur auch immer den Motor laufen lassen und das hat zu einer totalen Luftverpestung geführt. Das war dazumal schlimmer als heute mit der Autobahn, obwohl der Verkehr um das Zehnfache angestiegen ist.

Ferdinand Plattner:
..Die Motoren mussten durchaus arbeiten und verursachten dadurch ständig diese Auspuffgase. Trotz der leichten Luftbewegung, die es am Brenner immer gibt, war die Ortschaft in eine Abgaswolke eingehüllt.

..Ich habe 10 Meter neben der Strasse gewohnt und es gab hier ganz einfache Fensterverglasungen, sie waren noch näher. Da hat niemand protestiert, es war selbstverständlich. Man hat einen neuen Parkplatz geschaffen und eine große Beleuchtung drin: „Ah wunderbar, wie das gut beleuchtet ist jetzt!“
Niemand dachte daran, dass er immer mehr wächst und immer stärker und größer wird. (Anm.: der Verkehr)

..Eine (Anm.: große) Arbeit war auch die Reinigung in der Ortschaft. Jeden Tag auf der Strasse reinigen und hauptsächlich in dem LKW-Parkplatz. Da hat man alles gefunden und zusammenräumen müssen, dass es etwas sauber ist. Das war viel vom Arbeitstag, der nur bei der Reinigung draufgegangen ist und auch viel Geld.

..Die (Anm.: Lkw-Fahrer) mussten in ihren Kabinen drinnen schlafen, weil es zuviel kostete in einem Gasthaus. Jeder hat gehofft, dass die Zollabfertigung schnell ginge und trotzdem haben sie sehr viele Stunden lang oder halbe Tage und länger gewartet, bis sie weiterfahren konnten.

..(Anm.: der Stau )Das kann sein. Als noch der Schelleberg funktioniert hat …das war ein Riesenproblem. Im Winter haben die LKWs es nicht geschafft und dann hat eine Firma mit ihren Lkws, die beladen waren und Ketten hatten, den Abschleppdienst geleistet und haben die LKWS über die Steigung heraufbefördert und dasselbe auf der österreichischen Seite und sicher sind da zum Teil auch Staus entstanden, wenn da einer wieder quer stand und nicht weiterkam, dann dauerte das eine Zeitlang bis der wieder an Ort und Stelle sicher stand…

..Damals gab es noch einen Markt in der Ortschaft Brenner, und da waren die Verkaufsstände links und rechts von der Strasse, dass manchmal die LKW ab und zu jemanden etwas „mitgenommen“ haben (= irgendwie mit dem LKW in die Marktstände rein gefahren sind), was ja ganz natürlich war… und die Marktreinigung war gewaltig! Die ging in die Nachtstunden hinein bis Mitternacht manchmal… Wir hatten einen Dreiradler, auf dem wir die Sachen aufluden und da wurden Kartone über Kartone weggeführt, da hatten sie einen Verkaufsstand, der einen Hocker überlassen hat von zwei Kubikmeter…
Unglaublich, wie das zuging hier…

DER SCHNEE

Karoline Bruno
..Im Winter kamen die riesigen Schneemassen dazu, denn dazumal waren die Winter ja viel strenger und alles viel stärker beschneit auch.
Der Winter ist im Oktober losgegangen und hat im Juli aufgehört. Man sagt am Brenner gibt’s zehn Monate Winter und zwei Monate ist es kalt …


Ferdinand Plattner:
Das ist schon schwierig... Wenn man nur den Frischschnee hernimmt, dann sind es meistens sicher ein paar Meter, aber der feste Schnee ist ein Meter, eineinhalb Meter oder so…
Der frische Schnee war einige Meter hoch, wenn man den frischen gemessen hätte… Es gab Ausnahmeerscheinungen… wie 1950 / 51, da waren es vielleicht sogar 10 Meter…


Herr Plank:
18 Meter und 31 cm! 1951 war der strengste Winter im letzten Jahrhundert. Bei der Bahn wurde das immer aufgeschrieben und gemessen ... Das war das Extremste und da war die Eisenbahn 14 Tage lang gesperrt.

Ferdinand Plattner
..1975, als die großen Lawinen herunterkamen, hatten wir sehr viel Schnee. Am Ostermontag früh da waren 90 cm Schnee, morgens. Da gab es sechs Lawinentote in Brennerbad und die Autobahn war blockiert. Der gesamte Lkw-Betrieb rollte dann wieder über die Brenner-Staatsstrasse für ungefähr drei Wochen. Die Autobahn hatte nicht mehr den Mut, für den Verkehr die Fahrspur frei zu geben. Es gab ja auch keine Lawinenverbauung.

..Ich hab dann dem Bürgermeister Egartner zu verstehen gegeben, dass die Gefahr jetzt vorbei sei. Ich wollte es auch anhand einer Abfahrt über den Hang mit den Skiern beweisen. Wir sind zu Dritt mit dem Hubschrauber hoch geflogen und herunter gefahren. Unten haben die von der Autobahn gewartet und haben geschaut, wie es uns ergehen würde. Ich hatte verstanden, der Berg bringt jetzt keine Gefahr mehr, das wollte ich damit beweisen, weil ich mein Leben ja auch nicht ganz unbedacht weg werfe. Ich habe mich sicher gefühlt, da herunter zu fahren.
Mit der Öffnung der Autobahn hat man trotzdem etliche Tage noch gewartet. Man hatte vorher nicht den Mut gehabt, aus Sorge, es könnte noch eine Lawine da abgehen.

..Wichtig war es, dass die LKWs wieder auf die Autobahn fuhren und der Verkehr wieder da durch ging. Man hat 14 Tage vorher die Toten begraben und zwei Tage nach dem Begräbnis, hat die offizielle Abschiedsfeier stattgefunden: In diesen drei Wochen hatte man wieder diese Riesenbelastung gefühlt. Wenn der ganze Verkehr durch die Ortschaft so weitergegangen wäre, wäre das für die Bevölkerung nicht zumutbar gewesen.

Karoline Bruno:
..Ich kann mich erinnern, als die Autobahn eröffnet wurde, hat man in dem Jahr zirka hunderttausend Schwerfahrzeuge gezählt, statistisch. Binnen zehn Jahren ist man schon über eine Million mit Schwerfahrzeugen gekommen.
Es war ein jährlicher Zuwachs von etwa 10 Prozent. Ich glaube die Autobahn hat es gebraucht.

Ferdinand Plattner
Ja, aber für die Restaurants war sie weniger gut, die hatten Sorge, dass ein LKW-Fahrer nicht mehr einkehrt. Die Gasthäuser haben sicher viel weniger gearbeitet. Als die LKWS hier gestanden sind, haben die Fahrer hier gegessen und getrunken. Damals hat man schon geglaubt, der Brenner könne nicht überleben… aber das Lied geht heute noch gleich weiter.



DIE VISUMPFLICHT

Ferdinand Plattner:
Ich weiß nicht ob (Anm.: die Visumspflicht 1968) noch aktuell war, die Anfangszeit hat man schon sehr stark gespürt, viel weniger Leute sind hergekommen auf den Brenner, es war gang und gäbe…

.. 68 war es nicht mehr. Wie lange das war, daran kann ich mich nicht erinnern, aber ich kann mich sehr gut erinnern, damals war ich noch ledig. Das war Ende der Fünfzigerjahre. Es sind viele Leute hierher gekommen, um Wein zu kaufen in Flaschen, wir haben Flaschen gebracht und die Gasthäuser haben diese Fässer im Keller gehabt mit Pumpanlagen und meine Frau war die Bedienung in der Bar, und da habe ich oft, wenn es besonders eilig war, auch ich diese Hähne betätigt.
Ich habe es kaum geschafft, so viele Menschen haben Wein gekauft.
Der Wein und Mortadella sind nach Österreich gegangen.

Karoline Bruno:
..Für die Grenzbewohner waren zwei Liter erlaubt, die anderen durften fünf Liter mitnehmen. Die Grenzbewohner konnten ja jeden Tag alle zwei Stunden da vorbei kommen.


Ferdinand Plattner:
..Aber ich kann mich an einen Fall erinnern, da habe ich einen Liter Wein mitgenommen, den wollte ich nicht verzollen, und dann habe ich ihn in der Manteltasche innen getragen und bin aufs österreichische Zollamt: „Was zu verzollen?“ „Nein!“ Und dann gehe ich so mit etwas Schwung raus, der Mantel geht etwas auf, und er sieht die Flasche und ich musste sie damals verzollen, so streng war das damals.
Heute kann man mit allem fahren, und wir leben dennoch. So kleinlich war das damals, so genau… wegen einem Liter!


Karoline Bruno:
..Andererseits von österreichischer Seite hat man immer versucht, Mandarinen, Butter und Bananen mitzubringen und auch die waren begrenzt.
Zigaretten natürlich auch, die waren damals viel billiger in Österreich. Aber es war auch mit der Butter, Margarine, Saccharin und Gasanzündern so.
..Eine Episode, daran kann ich mich erinnern, da war einmal ein Priester am Brenner, und der hat sich in Österreich fünf Kilo Bananen gekauft und durfte damit nicht auf italienische Seite. Er hat sich kurzerhand ins Niemandsland gesetzt und binnen einer Stunde fünf Kilo Bananen verspeist. Ich war dazumal bei der Finanzpolizei und diese Episoden hat man da mitbekommen. Im Niemandsland war es nicht strafbar.

DER SCHMUGGEL


Ferdinand Plattner:
Na, ich habe mich aus den Schmuggelsachen raus gehalten. Damals wurde viel Rindvieh, besonders Kälber, über die Grenze lebend geschmuggelt. Aber ich war nie beteiligt daran.

Karoline Bruno:
..Nachts, am berühmten Schmugglerpfad oberhalb der Autobahn.

Ferdinand Plattner:
..Vom Griesbergerhof auf italienischer Seite sind sie dann über den Sattelberg, die Wechselalm, und von dort aus weiter mit einem motorisierten Transport per Traktor oder Auto. Das war sehr rentabel. Die Preise waren in Österreich für Rindvieh viel geringer, als da auf der italienischen Seite.
Dann gab es auch eine Zeit, wo ganz Versierte die Kälber im Kofferraum und im Pkw transportiert haben. Die wussten halt auch, wann die richtige Zeit dafür war, wann die Zöllner etwas müde waren. Das war genau dann, wenn ein Schmuggler das Kalb rübergebracht hatte. Dann hat er seine Schicht verdient und hat sich nicht anstrengen müssen.

Karoline Bruno:
..Die haben oft Aufgriffe gemacht und dazu habe ich eine nette Episode: eines Nachts wurden 14 Milchkälber beschlagnahmt und in der Kaserne hatte man keinen Platz, also gab man sie in die Garage. In der Garage war auch ein Teil des Archivs und am Morgen darauf hatten die Kälber das ganze Archiv gefressen gehabt. Das waren die Zustände in den Fünfziger- und Sechzigerjahren.

Ferdinand Plattner:
..Da kann ich mich auch an etwas erinnern. Das Jahr weiß ich nicht mehr, nur dass die Polizei auch Kontrollen gemacht hat am Berg oben. Ich bin Jäger und im Frühjahr habe ich Spielhähne gezählt bei der Balz am Sattelberg oben. Kurz vorher hat uns der Aufseher gesagt, er hat jetzt zweimal einen Hund am Berg gesehen und er glaubt, es sei ein wilder Hund. Und dann gehe ich hinauf, der Mond hat ein bisschen geschienen und es war etwas dämmerig, plötzlich stand vor mir ein Hund. Ich hatte einen Stock. „So, jetzt Ferdinand, jetzt musst du dich wehren!“ sagte ich zu mir selbst. Dann nahm ich den Stock und habe auf den Hund eingeschlagen. Er ließ ab. Plötzlich sah ich einen Schatten näher kommen, Menschen mit Maschinenpistolen. Ich hatte Angst, die Zähne haben nur so geklappert. Ich konnte vor Angst nicht mehr reden. Es waren Zöllner, die da oben gewartet haben. Sie haben vielleicht geschlafen, aber der Hund hat mich schon wahrgenommen. Ich musste mich ausweisen, ich sagte, dass ich ein Jäger vom Dorf bin. Das war der größte Schock meines Lebens, sonst fürcht ich mich nicht so schnell, aber damals bin ich sehr erschrocken.
Ich hatte gedacht, ich hätte dem Hund schon ziemlich wehgetan, weil ich ihn doch erwischt habe. Das waren italienische Zöllner, da war ein deutschsprachiger dabei, den ich gut gekannt habe, der Zingerle Hubert war das.

..Ich bin 1997 in Pension gegangen mit 1. Jänner. Ein Jahr vor Fall der Grenze.
Damals, als Grenze aufgehoben wurde, haben sie uns interviewt. Der ORF und andere. Sie haben gefragt, wie wir jetzt empfinden. Mir gefällt das ziemlich gut, mir ist so was lieber, es ist wie wenn ich von der Küche in die Stube ginge, wenn ich von Italien nach Österreich gehe. Und dann haben sie das tatsächlich gesendet, das hat ihnen scheinbar gut gefallen.
Und wir haben den Grenzabbau sehr nett gefeiert draußen in dem Zelt weit über Mitternacht hinaus, da war ein schönes Feuerwerk, ein großes und man sieht es geht so auch ohne weiteres, wenn man auch vorher dachte, es gehe unmöglich. Aber trotzdem, es sind schon einige Jahre vergangen, es geht recht gut, scheint mir.

ILLEGALE GRENZÜBERSCHREITUNGEN

..Wenn ich zur Fütterung - da beim Wolf unten, das ist schon einige Kilometer weiter unten - zur Alm aufgestiegen bin, habe ich fast jedes mal wieder frische Spuren gesehen. Da waren starke Bewegungen, die über die grüne Grenze gegangen sind. Aber inzwischen hat das vollkommen aufgehört, diese Grenzüberquerungen zu fuß. Heute funktioniert das per Auto oder Bahn.
..Die Polizei kontrollierte lapidar. Sie war ständig unterwegs, auf dem Abschnitt Gossensass – Brenner begegnete man immer wieder einem oder zwei Polizeiautos. Auch jetzt ist die Kontrolle auf der Strasse sehr stark. Ich habe nicht viel mitbekommen von den Vorfällen 1997.
..Der Pfarrer war hilfsbereit dem Nächsten gegenüber, die österreichischen Behörden waren sehr streng. Man musste ein Visum haben, um weiterzukommen und bei manchen war wirklich das Geld für das Visum nicht da. Die Flüchtlinge wurden festgehalten, ohne Betreuung, keinen warmen Platz, keine Übernachtungsmöglichkeit; das waren schon sehr extreme Fälle. Letzte Anlaufstelle war der Pfarrer, der einerseits die Gesetze zu beachten hatte, andererseits dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe folgte.

..Die Österreicher waren strenger, sie hielten sich eher an die Gesetze. Sie sind nordländisch und sehen das wesentlich strenger als wir hier im Süden.

..Na, ich habe eher geahnt, dass ein Transport nachts rüber ist. Da ist ein Bach, und da waren manchmal oder öfters so Stöcke, die man beim Gehen benutzt und ich dachte, wie kommt das eigentlich, da muss doch ein Transport über die Grenze gehen, wahrscheinlich war das dann der Sprengstoff, der hier über die Grenze transportiert worden ist, aber ich kann dazu nichts sagen und habe mich auch nie so sonderlich dafür interessiert .. das war ganz was Gefährliches!

..Die Stöcke haben sie nachts gebraucht, um leichter zu gehen. Das könnte so gewesen sein, ich habe mich gewundert, warum die da drin in dem Bach schwimmen, aber jetzt… woher und wohin, das könnte dort gewesen sein.

..(Anm.: Bei der Feuernacht) Bei uns ist nicht viel passiert, die Kasernensprengung in Steinalm, aber das, dachten wir, sei ein Unfall in der Kaserne selber gewesen. Der Träger hat gesagt, er hat die gesehen: Die hatten Handgranaten und verschiedene Munition und er hat Instruktionen gegeben, dann ist er gleich weg, und bald darauf gab’s eine Explosion. Vielleicht war es eher ein Unfall als Terrorismus.

..Ich hatte einen Hof in Pacht, zwei km weiter südlich vom Brenner, bis 1957 war ich dort. Seit zwölf Jahren bin ich am Gossensass.

..Wegen der 61er Nacht, habe ich nichts mitbekommen und habe mir keine Sorgen gemacht, dass das wirtschaftlich Auswirkungen haben könnte.
..Ich bin Jahrgang `37 und ich hatte unter Mussolini keine Erinnerungen. Als der Krieg fertig war, hat meine Mutter zu mir gesagt, was mir lieber ist: Ob er nun fertig sein oder weitergehen solle und ich habe gesagt, er soll fertig sein. Und sie sagte: „Ja, jetzt ist er fertig!“
Daran kann ich mich erinnern, ich war 8 Jahre alt, 1945. Sonst weiß ich wenig. Ich weiß, dass sie bombardiert haben, und einmal sind die Flugzeuge über den Brenner rein geflogen. Mein Vater hat einen Luftschutzkeller gebaut etwas oberhalb des Hauses, 20 Meter drüber. Der war im Erdreich und gut abgedeckt und man hörte es krachen und damals ist der Brenner bombardiert worden.
Die Unterführung, wo der Bahnhof war, (Anm.: da gab es bei der Bombardierung) ungefähr 20 Tote, Eisenbahner, Bevölkerung, wollten dort in Schutz gehen.
..Ich weiß, dass deutsche Militärs gekommen sind und mein Vater hat gesagt, das sei zum Teil noch bewaffnet waren. „Lasst die Waffen und geht nicht weiter.“ Unter der Eisenbahn gab es eine Unterführung, wo ein Bach drunter durch ging und da haben sie Gewehre und Munition weggeworfen, damit sie weg sind.

Karoline Bruno:
..Die Tante Midl hat mir erzählt, dass der Wehrmachtsverband seinerzeit in der Finanzkaserne war, aber mehr weiß ich nicht, ich weiß nur dass Frauen am Brenner dort hinein zur Arbeit gingen.

Ferdinand Plattner:
..Die Rückwanderer kamen häufig, fast jede Nacht ein paar Leute. In einem Stall haben sie die Nacht verbracht, und eine Möglichkeit gesucht, wie sie weiterkommen sollten. Auch die Rückführungen, die es gab, wurden von den Einheimischen übernommen und ein bestimmtes Stück wurden sie weiter begleitet.

`45 hat es stark geschneit, und sie haben nicht bombardiert. Wo unser Hof war, da war ein Lastenzug, der von deutschen Militärs bewacht wurde. Wenn Bomben fielen, rannten die Militärs schnell weg, weil anscheinend war dieser Lastenzug voll mit Munition.



ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN ITALIENISCHEN UND ÖSTERREICHISCHEN BEHÖRDEN

Daniel Steckholzer:
..wechseln und “carta verde”, diejenigen, die das nicht hatten. Die, welche hereinkamen, kamen wegen des Benzins, weil sie verdienten, sie zahlten viel weniger, die Touristen.
am Eingang hat man sich nur mit den Touristen beschäftigt, auch mit dem Geldwechseln, da hat man gut verdient.

Signor Bruno:
Ich wollte da noch etwas zufügen. Also wir, die Ordnungskräfte - ich war Finanzbeamter -, haben nicht verstanden, warum Österreich so sehr auf die „carta verde“ pochte, weil viele waren sowieso versichert, aber die Österreicher haben immer nur nach der „carta verde“ gefragt. Das war für uns nicht immer ganz klar, warum das so durchgeführt wurde.
..Diese Arbeit war wie eine Schaukel. Es gab Offiziere, die geistig offen waren und deshalb waren die Beziehungen immer freundlich und aktiv, aber es gab auch welche, die reserviert waren und schon da begannen die Beziehungen kälter zu werden, und das dauerte dann wieder eine ganze Zeit lang.
..Auf persönlicher Ebene waren die Beziehungen immer ausgezeichnet, ich habe eine österreichische Frau, spreche etwas deutsch und deshalb hatte ich es auch noch leichter, Beziehungen zu knüpfen. Nur als wir nach Österreich gingen, waren wir etwas, wie soll ich sagen, nicht schüchtern, aber wir waren wirklich im Ausland, etwas, was heute nicht mehr passiert.

..Es gab eine Zeit, die ich würde die „Top-Zeit“ nennen, und zwar zur Höhepunkt des Terrorismus, als wir oder die österreichischen Beamten Fußballturniere in Österreich veranstalteten, in Kufstein. Das war immer sehr lustig, alle zusammen waren wir wirklich glücklich über die Beziehungen zwischen den Österreichern und uns. Nicht nur die Finanz-Wag, sondern auch die Gendarmerie, die mehr als einmal an den Turnieren teilgenommen hat, waren mehr als höflich.

..Es gab eine gewisse Zusammenarbeit, auch mit der Grenzpolizei, auch das internationale Weihnachten: Das war ein riesiges Fest, das man nicht am 25., sondern aus Dienstgründen vorher machte. Da war der Pfarrer Osebio Jori, der der Begründer und Initiator dieser Veranstaltung war. Ab 1953 bis zum heutigen Tag, bis 1992 glaube ich, gab es das Fest. Es wurde in der Brennerkaserne durchgeführt, manchmal sind wir auch irgendwo anders hin. Es war wirklich ein großes Fest!
Es fing mit der Messe von Pater Jori an, die in der Kaserne stattfand und später dann von seinem Nachfolger Giorgio Valentini. Dann gab es ein Mittagessen, das von weit weg kam und zwar aus Trient, vom Monte Bondone. Anschließend gab es die offiziellen Reden, die immer über die Zusammenarbeit, die Brüderschaft, die Freundschaft gingen. Es kamen auch die Schweizer, die Österreicher natürlich, und es ging dann weiter von zehn Uhr morgens bis acht Uhr abends. Zum Schluss verabschiedete man sich, mit dem Versprechen sich nächstes Jahr wieder zu treffen.

..Unser Hauptanliegen war es, keine Terroristen über die Grenze zu lassen, besonders hier am Brenner. 1961 bei der Steinalm gab es drei Tote und vielleicht 15 Verletzte. Deshalb war eben dieses das Hauptanliegen, aber natürlich ging es bei den Kontrollen auch um den Schmuggel vor allem von Kühen. Wir haben sehr viele von diesen sequestriert. Aber es ging auch um Zigarettenschmuggel, weil der Grenzschmuggel, den gab es immer. Am wichtigsten war die Terrorismusbekämpfung.

..In der Zeit der Anschläge waren die Kontrollen viel stärker, viel genauer, und dann entspannte sich die Situation ein bisschen. Hier an der Grenze zum Brenner gab es keine Autobahn, sie haben vom Glicksberg geschossen, in Richtung Finanzbeamte, an einem solchen Sonnentag wie heute, wir haben den Terrorismus tatsächlich erlebt.
..Und dann konnten die Finanzbeamten in dieser Zeit nicht alleine raus gehen, sie mussten immer zu zweit oder zu dritt raus und zu einer bestimmten Zeit zurück sein. Diese Kontrollen waren wichtig, der Brenner war damals ein großer Ort mit 800-900 Einwohnern, die Militärleute, die Finanzbeamten, die Polizei, die Carabinieri, Paramilitärs, und dann auch der Geheimdienst, und deshalb gab es eine große Präsenz damals.

Daniel Steckholzer
..Wir hatten immer eine riesige Kolonne (Anm.: beim ACI), vor allem als es noch keine Autobahn gab, es gab viele Menschen. Ich habe 36Jahre gearbeitet, vom 01.06.62 bis 01.06.98.

..Schlimm war es, als die Wechselstation wegkam, die Steuern die bezahlt werden mussten, da gab es viel Arbeit, und dann langsam gab es nichts mehr.

..Das Haus wurde vor einem Jahr ungefähr geschlossen für immer. Die Zentrale war hier und alles wurde von drüben hierher gebracht und dann wurde langsam drüben alles abgezäunt auf der Autobahn.

..Wir hatten damals 62 nach der Feuernacht wenig zu tun, wir haben nicht gelitten. Der Tourismus hat auch nicht gelitten.

Rudi Plank:
..Der Tourismus ist mehr oder weniger gleich weiter gegangen.

Karoline Bruno:
..Die deutschen Touristen haben ja nichts gewusst.

Rudi Plank:
..Es gab ja Holländer und alles Mögliche.

Daniel Steckholzer:
..Die kamen ja auch aus China und überall her, aus Japan und ähnliches mehr.

Signor Bruno:
..Es kamen 27 Mio. Touristen über den Brenner und das jährlich. Das sind nicht wenige. Damals, als noch die Lire existierte. Heute werden es auch mehr sein, sie fahren über den Brenner. Ich wollte noch hinzufügen, dass die radikalste Veränderung aber erst seit Jänner dieses Jahres stattfand, als der Euro eingeführt wurde, weil vorher war der Brenner ein Ort, wo die Menschen herkamen um auf dem Markt etwas zu machen, wegen dem Schilling, wegen der deutschen Mark, aber mit dem Euro sind die Preise angeglichen worden und deshalb hat der Markt auch nicht mehr diese Funktion von einst.

..Ich möchte sagen, dass es keine gute Verwandlung ist, das ACI –Büro wurde geschlossen, die Büros wurden geschlossen, aber ich selbst bin sehr froh über den Euro, um das klar zu sagen.

Daniel Steckholzer:
..Alles ist teurer geworden,

Signor Bruno:
..Ja, aber das verdanken wir nur den Spekulationen, die den Wert des Euros um die Hälfte reduziert haben. Ich habe letztes Jahr Obst gekauft, das hat 900 Lire gekostet -- dieses Jahr kostet sie einen Euro, also mehr als 100 % teurer!

Daniel Steckholzer:
..Der ACI war sehr wichtig für das Dorf, sehr wichtig. Für den Tourismus auch, denn der Abschleppdienst ist sehr wichtig. Der Brenner war eine enorme Geschäftsstelle für den Automobilklub Italien.
..Jedenfalls haben sie sehr viel Geld gemacht. Es gab 30 bis 40 Studenten die die Treibstoffkarten, die damals jeder haben musste, entwertet haben.

Signor Bruno:
..Abgesehen von dieser Treibstoffkarte gab es auch die Kontrolle durch die Finanzbeamten. Sie kontrollierten, auf der Treibstoffkarte, welches Auto aus Italien raus fuhr und welches rein.
..Der ACI gab 25 Personen eine fixe Arbeit, und dann gab es noch die Saisonarbeiter, die auch nicht wenige waren. Es war ein Ort, der vielen Familien Arbeit aus dem Hochpustertal Arbeit gab.

Daniel Steckholzer:
..Man hat den Tourismusaufschwung in allererster Linie auf den Straßen bemerkt, weil es viel mehr Stau gab. Als es keine Autobahn war, da gab es einen Stau bis Franzensfeste im Ausgang. Auf Innsbrucker Seite führte der Stau bis nach Innsbruck und dann am Karfreitag 72 kam endlich die Autobahn.
..Wir sind da rüber und haben sie aufgemacht, das war ein Massenansturm schon am ersten Tag, wir waren gut ausgerüstet. Das Haus war immer Zweigstelle.

Signor Bruno:
..Unsere Landsleute hatten einen großen Vorteil durch den Tourismus. Als man die Autobahn eröffnete, gab es am Brenner einen halben Streitfall, weil gesagt wurde, dass durch die Eröffnung der Autobahn niemand mehr hierher kommt.
Ich möchte auch noch eine Sache unterstreichen: Brenner ist ein Name, der in ganz Europa bekannt ist. Der Ort ist wichtig für Italien und für diese Täler hier. Nach der Autobahneröffnung kamen wirklich weniger Menschen hierher, aber auf der anderen Seite, diejenigen die damals die Bundesstraße machten, waren genau gleich, sie fuhren auch geradeaus und fertig, weil der Tourist sein Ziel erreichen will. Später kamen die Touristen auch zurück, der Markt am Brenner war immer gut besucht, und das haben wir bis vor kurzer Zeit gesehen. Es gab auch Sachen, wie den Absturz der Lira: dadurch wurden viele Händler zu Millionären.

..Die, die hier wohnen, kommen vor allem aus dem Veneto, wenige kommen tatsächlich von hier, sie sind von überall her, die Händler.

Signor Bruno:
..1964/65 hat meine Frau den Wettbewerb gewonnen und wurde hierher an den Brenner versetzt. Wir hätten auf ihre Arbeit verzichten können, aber wir haben die Koffer gepackt und sind im Mai 1965 hierher, natürlich darauf hoffend, dass wir ein Haus finden. Wir haben nichts gefunden; heute gibt es 38 leer stehende Unterkünfte, die teilweise von Pakistani und anderen Ausländern bezogen wurden, aber damals gab es kein Loch.

..Ich musste nach Gossensass, in eine Unterkunft dort von der Kaserne und blieb dort einige Monate und dann wurde endlich eine Wohnung frei. Wir sind in die Kaserne am Brenner gezogen, und wir mussten jedes Mal, wenn meine Frau einkaufen ging, die Einkaufstüten zeigen, weil man konnte ja nie wissen, es hätte ja auch jemand eine Bombe in die Tasche legen können, damit sie in der Kaserne explodiert.

Karoline Bruno:
..Wenn man zum Einkauf ging, dann musste man die Einkaufstausche öffnen und der Beamte hat sich angesehen, was da drin war, ob das jetzt eine Melone oder sonst was war…

..Ich habe den Brenner nicht gekannt, jedes Mal hat’s geschneit, dann kam ich nach Brenner um mich vorzustellen, und bin dann nach Meran zurück zu meinem Mann und habe gesagt „Am Brenner nie!“ „Aber wir müssen ja, wenigstens ein paar Jahre“, und daraus sind 40 Jahre geworden.
Man hat sich dann eingelebt, es waren Familien da, viele, es gab viele Vorteile, man hat gut gelebt. Es gab ein gutes Miteinander, die Kinder haben ihre Wurzeln geschlagen, die sind eingefleischte Südtiroler.

Signor Bruno:
..Wir kamen von Meran, aber vorher waren wir im Passeiertal gewesen, wir haben keine Probleme zwischen Italienern und Deutschen festgestellt. Das war immer so, es war eine Insel, die Pfarre von Brenner geht auch auf die österreichische Seite über.

Karoline Bruno:
Das internationale Weihnachtsfest, von dem haben wir das ganze Jahr gezehrt und wir haben dadurch alle Autoritäten persönlich kennen gelernt. Wir haben immer einen Gesprächspartner gefunden, in Österreich oder Deutschland, das hat Freundschaften gebracht.

Rudi Plank:
„Zoll, Polizei, Finanz und andere öffentlich Institutionen, wie z.B. Eisenbahn, Automobilklub, und andere öffentliche Ämter, die Gemeinde, die hier tätig waren, haben sich bei diesem Fest getroffen. Dreimal war es in Deutschland – in Bayern -- einmal in Österreich und einmal in Italien. Da waren Zirog und Ladurns die Hausberge, draußen waren es der Kaiserkogel, der wilde Kaiser und einmal war es auch in St. Anton, wo es stattgefunden hat.


Signor Bruno:
Es gab immer eine rege Teilnahme. Es war schlecht, draußen zu bleiben. Eine Nicht-Teilnahme wurde tatsächlich bemerkt.
Auch nach 61 wurden die Fußballspiele gemacht, bis ins Jahr 1966, als noch der Capitano Passini tätig war.

Karolina Bruno:
Nach dem vermutlichen Attentat, das ist ja nie klar gewesen, ist für zwei Jahre dieses internationale Weihnachtsfest nicht abgehalten worden. Auch im Gedenken an die Toten und an die Verletzten. Danach ist es wieder aufgenommen worden, weil man die Notwendigkeit des jährlichen Treffens erkannt hat.
Wir haben die Feuernacht im Passeiertal erlebt, wir waren dazumal in Moos im Passeiertal. Da hat er bessere Erinnerungen als ich.

Signor Bruno:
..Wir waren eben in Moos und wir haben morgens die Nachrichten erhalten, was passiert war, denn damals gab es kein Fernsehen. 1961, am 13. Juni, bzw. in der Nacht vom 11 auf den 12 Juni haben wir die Nachricht erhalten, dass ich weiß nicht wie viele Sprengkörper auch im Passeiertal hochgegangen sind.

..Es gab Momente als jemand, der mit einer Österreicherin verheiratet war, auf bestimmte Weise behandelt wurde. Aber das war nur ganz kurze Zeit, weil später wurden diese Zweifel behoben. Man kann nicht die Familie in diese Sachen hineinziehen. Wer Terrorist sein will, soll es sein, aber wer ein ehrlicher Mensch ist.

Rudi Plank: Es gab einige die wirklich verschlossen waren.

Signor Bruno:
Wir hatten zum Glück keinen solchen Fall. Ich kam 1957 nach Südtirol. Es gab noch das Visum aber es hat nicht lange gedauert, nur in einem Jahr brauchte man ein Visum.

Daniel Steckholzer:
Mit dem hatten wir nichts zu tun, wir haben es nicht wahrgenommen.

Rudi Plank:
..Das war eigentlich Aufgabe der Carabinieri. Weder Finanzpolizei noch ACI hatten damit etwas zu tun, weil die Grenzkontrolle haben auf der Nationalstraße die Carabinieri durchgeführt, später dann an der Autobahn hat das die Polizei, die Grenzpolizei übernommen.
Die Finanz hatte nicht den Pass kontrolliert, außer sie wollten das Auto und die gesamte Person kontrollieren, da wurde dann natürlich der Pass auch kontrolliert, aber ansonsten.
Der Finanzbeamte hat bestimmte Stichproben gemacht, gewisse Kontrollen, die normale Passkontrolle wurde von den Carabinieri durchgeführt. Natürlich dann auch das Visum, der Visumstempel.

WOHNEN AM BRENNER

Karolina Bruno:
..Es waren alle Wohnungen bewohnt, auch die Dachböden. Der Großteil der Militärs, ob das jetzt Carabinieri, Finanzer oder Polizei waren, waren Junggesellen. Es waren einige Familien, in der Finanz waren wir die einzigen, aber es waren sehr viele Eisenbahnerfamilien da. Schon allein der Fall, dass es einen Kindergarten, eine Volksschule und eine Hauptschule gegeben hat, war wichtig. Die sind mittlerweile abgeschafft, es gibt noch einen Kindergarten aber dank der pakistanischen Kinder, sonst wären nicht genügend Kinder am Brenner, um den Kindergarten offen zu halten.

..Sie (Anm.: die Militärs) waren natürlich nicht begeistert, am Brenner zu kommen. Meistens waren es Leute aus dem Süden, die diese Wetterverhältnisse überhaupt nicht kannten, außerdem durften sie seinerzeit nicht nach Österreich. Militärs durften nicht ins Ausland.
..Man hat sich gegenseitig besucht, besonders durch die Kinder sind viele Kontakte aufgekommen. Es gab auch mehr Veranstaltungen im Ort, es gab gemeinsame Abendessen, sogar Tanzunterhaltungen.

Signor Bruno:
..Im „Dopolavoro“ wurden Kinovorstellungen für Kinder veranstaltet, für deutsche/italienische/gemischtsprachige Kinder. Also gab es auch kulturell eine sehr lebendige Atmosphäre. Es gab die POLfront, den CAI, den Verona Club, die Feste veranstaltet haben für die Bevölkerung, vor allem für die Kinder. Dem Eisenbahner-dopolavoro haben wir diesbezüglich viel zu verdanken, das muss man sagen.

DIE GESCHÄFTSLEUTE

Rudi Plank:
..Die hatten 24 Stunden offen, die mussten putzen, …. Das sind Vergangenheiten, die sind nicht unmittelbar in der Zeit nach dem Krieg, auch wenn diese natürlich auch wichtig sind, aber das sind Geschichten, die sind 65-69 passiert, bis die Autobahn auftat. Der erste große Einbruch am Brennerort war mit Eröffnung der Autobahn, nicht mit dem Euro. Die arbeiten heute noch besser als wie jedes andere Geschäft.

..(Anm.: Die Autobahneröffnung war ein Einbruch,) weil mit der Autobahn auf der Nationalstraße 70% weniger Verkehr war. Der Schwerverkehr war weg, aber auch der andere Verkehr hat sich zu 70 % auf die Autobahn verlagert.
Früher hatte jeder Italientourist noch 3000 oder 2000 Lire und hat das hauptsächlich als Münzgeld am Brenner verbraucht, und wenn er faule Trauben gekauft hat! Er hat einen Liter Wein gekauft und hat sich irgendwie vom Geld befreit. Und dann kam eine lange Zeit, wo es diese Schecks gab, 500 Lire, 200 Lire, 150 Lire, das war reines Klopapier, die musste er hier lassen, sonst hätte er sie wegwerfen müssen, das war die große Einnahme von Geschäftsleuten am Brenner, das muss man auch sagen.

..Ein einheimischer Bürger der Gemeinde Brenner dem wäre es zu schlecht gewesen dort ein Würstelstand aufzumachen. Da kamen welche von auswärts, die hatten gerade mal einen Nylonsack, und haben am Brenner einen Würstelstand eröffnet, und haben sich mit 3, 4, 5hundert Millionen vor 20 Jahren, dann ein Haus gebaut. Das sind Sachen, die tatsächlich hier passiert sind.

..Ein Einbruch war auch der Fall der Grenze, also 1998, wo der Brenner wieder an Wichtigkeit verloren hat. Was ist passiert: Autos fahren immer noch gleich viele vorbei, aber die Leute sind abgewandert. Zöllner, Finanzer, Carabinieri, die sind alle abgezogen worden. Auch bei der Eisenbahn mit ihrer ganzen Reformierung und Technologie hat es einen großen Abbau der Arbeitsstellen gegeben.

::Jetzt sind am Brenner 150 Leute weggezogen. Ich zähle jetzt die, die kurzfristig hier waren nicht mit. Damals wurde dann natürlich weniger eingekauft, und dann kam noch zusätzlich der Euro und logischerweise am Brenner , wenn es vorher ein Handelsdorf war, fast wie Samnaun, wenn da 10 Leute rein gekommen sind, dann konnte man 15 rauswerfen, weil dann kamen die nächsten 20 ..

.. Heute ist es ein normaler Ort mit normalen Geschäften, wo sie umdenken müssen und nicht mehr den ganzen Ramsch und den ganzen Schmarren verkaufen können. Heute müssen sie mehr auf Qualität schauen, auf den Kunden eingehen und ein klein wenig dem Aufmerksamkeit schenken und ihn nicht wie den letzten Dreck behandeln, aber es ist immer noch ein Geschäfts-Ort. Früher haben sie die Nylonsäcke in die Bank getragen.

Daniel Steckholzer:
Früher haben sie das Geld in die Müllsäcke hineingetan und dann in die Bank getragen und nicht selbst gezählt, das musste die Bank machen.

Karoline Bruno:
Es leben nur wenige von denen noch, teilweise sind sie abgewandert, teilweise gestorben.


DER BRENNER UND DAS GELD


Signor Bruno:
…Es gab einen Witz, der im Spiegel erschienen ist, das den Brenner wie eine Kuh darstellte: An dieser Kuh hingen mehrere Personen dran, der Brenner wird ausgenützt, gemolken wie eine Kuh und das ist war, denn das ganze Geld was hier verdient wurde, wurde nicht am Brenner ausgegeben und deshalb ist der Brenner bis heute so wie er ist. Wenn irgendjemand investiert hätte, dann…, aber der Großteil dessen, was am Brenner verdient wurde, wurden in die Toskana gebracht, an den Gardasee, etc. etc. Dieser Witz hat soviel schlechte Laune verbreitet, dass….

Karoline Bruno:
..Ich bin nie weggezogen vom Brenner, ich habe nach wie vor meinen Wohnsitz am Brenner und schlafe im benachbarten Haus. Am Brenner wollten wir eigentlich nicht bleiben und in Sterzing fanden wir keine Wohnung. Wir haben uns immer vorgenommen, wenn wir in Pension gehen, wollen wir in ein wärmeres Gebiet, aber ist es halt nicht.
..Es ist eine Geisterstadt, in dem Moment wo die Geschäfte schließen. Am Tag ist immer etwas Bewegung, besonders an Samstagen und Sonntagen, es kommen doch ziemlich viele von Innsbruck und vom Mitttal herauf, aber eine Geisterstadt wird’s nach 18 Uhr .. Da finden sie keine Menschenseele mehr am Brenner. In den 60er 70er Jahren hatten die Geschäfte bis neun Uhr geöffnet. Das Leben hat weiter pulsiert.

..Mir geht nichts ab in Nöslach. Die Kinder haben die Schule in Sterzing besucht und einer ist nach wie vor am Brenner tätig beim ACI, der andere beim Zollamt in Franzensfeste, wohnt aber in Brixen.
..Sie sagen, sie hatten eine schöne Jugend gehabt am Brenner, und sie merken es schon sie hatten gute Erinnerungen an ihre Kindheit, es waren damals so viele Familien da, unzählige,
und die Kinder sind skigefahren, das war der einzige Sport, den sie durchführen konnten, damals war der Zirog noch geöffnet, das war ihr Hausberg sozusagen,

Daniel Steckholzer:
..Ich fühle mich am Brenner wie zu hause. Ich bin immer gern am Brenner gewesen. Das Leben ist mehr oder weniger überall gleich, mir gefallen die Leute, mir passt es am Brenner. Ich bin fast 40 Jahre da gewesen und dann ist es eine Gewohnheit. Die Sterzinger sagen überall nur nicht am Brenner, aber wenn man da fast aufgewachsen ist, dann ist das kein Problem.
..Sterzing … nach 19 Uhr ist in Sterzing auch nichts mehr los. Das ist mehr oder weniger das moderne Leben, das hat das moderne Leben mit sich gebracht, das Fernsehen und alles miteinander, die Leute sind dann lieber zu hause am Abend vielleicht. In Sterzing ist es im August voll, aber wenn man im September nach sieben Uhr nach Sterzing geht, dann ist es fast leer.

Karoline Bruno:
Das ist das Klima, es ist kalt hier.

DIE ZUKUNFT

Signor Bruno:
..Es geht darum, unseren Verwaltungs-Autoritäten verständlich zu machen, was sie am Brenner machen sollten, aber nicht in 10/12 Jahren, sondern das, was sie in kurzer Zeit machen sollten. Sie reden zwar von gigantischen Programmen aber niemand legt Hand an, weil der Brenner nicht in Konkurrenz zu Sterzing steht, darüber müssen wir uns im Klaren sein, es sind zwei verschiedene Sachen. Der Brenner muss aus eigener Kraft leben, aber leider hat das niemand verstanden.

..Es ist die Gleichgültigkeit der Verwaltung, weil in letzter Zeit viele in der Gemeinde waren, die den Brenner nicht besonders sympathisch betrachteten. Ich hoffe, dass in Zukunft etwas geändert wird. Und es ist nicht notwendig, dass sie uns erzählen, dass es große Projekte gibt, die dann vielleicht irgendwann realisiert werden. Es ist wichtig zu zeigen, wie der Brenner ist und das möchte ich am liebsten dem Bürgermeister sagen, was er sich erwartet.


Rudi Plank:
..Also der Brenner war, ist und wird ein guter Arbeitsplatz bleiben, ein Handelsplatz, klein oder groß, das hängt von dem politischen Geschick ab, was am Brenner in Zukunft gemacht wird, oder was man machen will. Viel wird von den Bürgern abhängen, also die Geschäftsleute, die am Brenner ansässig sind, sie können nicht verlangen, dass diejenigen, die am Brenner arbeiten diesen Ort neu strukturieren, aber Ich sehe nicht so schwarz. Es gab schon vor 20/25 Jahren so Ideen, bzw. Gehirngespinste, wo man aus dem Brenner ähnlich Samnaun eine zollfreie Zone machen wollte, aber das sind Illusionen, die weggefallen sind, daran braucht man jetzt nicht mehr zu denken. Aber der Brenner ist immerhin der höchste Grenzübergang Europas, es ist die Nord/Südstrasse und ich sehe im Brenner immer noch Zukunft, d.h. auf jeden Fall Arbeitsplätze, nicht unbedingt Wohnqualität. Man muss vielleicht aufpassen, wer in Zukunft am Brenner die Geschicke leitet, und auch aufpassen, wer in Zukunft am Brenner wohnt, wer wird diese noch leeren Wohnungen besetzen, man soll nicht pessimistisch sein.

..Na, es ist sehr schön, dass alle jene, die an der Grenze sind oder an der Grenze wohnen, oder noch arbeiten, dass heute nach Österreich gefahren werden kann ohne stehen zu bleiben, Ausweise herzeigen zu müssen und ohne Kolonne. Auch wenn die Grenze aufgehoben ist, auch wenn alles Europa ist, Brenner wird immer ein Grenzort bleiben und wenn es das nicht mehr ist, dann ist es eine Wettergrenze, eine Wetterscheide.

Karoline Bruno:
..Es ist trotzdem eine Grenze die immer, auch in den vergangen Jahrzehnten verbindend war.

Rudi Plank:
Es war immer eine Sprachbarriere, hat immer eine Grenzfunktion gehabt, nur die Wichtigkeit kam dadurch, dass Südtirol zu Italien kam, das ist ja ganz logisch, dass da die Grenzelemente unterschiedliche Wurzeln geschlagen haben, aber Grenze war es bei den Römern schon.. also wenn er nicht die Grenze war, dann hat er die Menschen an die Grenze geführt.

Signor Bruno:
Ich könnte zu den anderen Sachen noch eine kleine Episode hinzufügen. 5 bis 6 Jahre her hat Giro d’Italia den Brenner überquert, und hier kam Gino Bartali an, eine gute Seele, der als Spitze des Giro, am Brenner angehalten hat, fragte: Wo sind die Autoritäten hier am Brenner? Wir sind alle hier. Sie haben sogar vergessen, dass der Giro hier vorbeiführt.

Plank: Ja, das war 92/93, als der hier vorbeiführte. Das ist 10 Jahre her...