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Allgemeine Vorbemerkungen - Die Brennerbahn zwischen Brenner und Bozen
1838 schlägt der Bürgermeister von Innsbruck eine Bahnlinie von München nach Triest über Innsbruck, Bozen und Verona vor. Zum ersten Male zieht man die Überquerung des Brenners dabei in Betracht – allerdings mit einer Pferdebahn.

Ein Regierungsbeschluss der K.K. Monarchie genehmigt generell den Bau eines Eisenbahnnetzes auf Kosten des österreichischen Staates. In Wien wird die Generaldirektion der Staatsbahn unter Leitung des venezianischen Ingenieurs Ermenegildo Francesconi eingerichtet.

In den Jahren 1846/47 wird eine Gesellschaft zum Bau einer Eisenbahnstrecke Venedig–Bassano–Trient–Brenner gegründet und die österreichische Regierung beschließt in ihrem Eisenbahnbauprogramm eine Linie Verona-Trient-Bozen Brenner-Innsbruck-Kufstein und der Veroneser Ingenieur Qualizza fertigt einen Entwurf für diese Eisenbahnlinie durch Tirol an.

Am 21. Juni 1851 schließen Bayern und Österreich einen Vertrag über die Eisenbahnverbindungen beider Staaten. Dabei verpflichtet sich Österreich zum Bau der Linien Kufstein-Innsbruck und Verona-Bozen und die Untersuchungen für die Verbindung Bozen-Innsbruck.

1853 beginnen unter Luigi von Negrelli (K.K. Privilegierte Ferdinand-Eisenbahn Lombardo-Venetien) die Arbeiten für den Bau der Linie Verona-Bozen und unter Carlo von Ghega (K.K. Nordtiroler Staatseisenbahn) die Arbeiten zur Linie Innsbruck-Kufstein.

Fünf Jahre später – 1858 – wird im August die Strecke München-Kufstein eingeweiht, am 19. September die Strecke Verona-Trient und am 24. November die Linie Innsbruck-Kufstein in Betrieb genommen. Schließlich wird am 16. Mai 1859 die Verbindung Trient-Bozen hergestellt. Im gleichen Jahr tritt Karl von Etzel, der spätere Erbauer der Brennerbahn, in den Dienst der Eisenbahngesellschaft, der K.K. Privilegierten Südlichen Staats-Lombardisch-Venetianischen und Centralitalienischen Eisnbahngesellschaft, die sich ab 1862, gemäß dem Züricher Vertrag zwischen Österreich und Italien und der Trennung des venezianischen Eisenbahnnetzes vom Lombardischen K.K. Privilegierte Südbahn Gesellschaft nennt.

Karl von Etzel, ein gebürtiger Württemberger und Ingenieur mit umfassenden Erfahrungen im Eisenbahnstreckenbau, die er in Frankreich, England und der Schweiz erworben hatte, beginnt 1861 mit den allgemeinen Erhebungen für den Bau der Brennerstrecke zwischen Innsbruck und Bozen. Sein Entwurf der Streckenführung wird im September 1862 genehmigt.

Bereits am 23. Februar 1863 begann man mit den Bauarbeiten, die auf 16 Baulose (später zusammengefasst in vier) verteilt wurden. Im Schnitt arbeiteten bis zur Fertigstellung 1867 4100 Arbeiter entlang der Strecke, eine Zahl, die in Spitzenzeiten auf 20 600 anstieg. Allerdings mussten bei Kriegsausbruch zwischen Österreich und Italien 1866 14 000 italienische Arbeiter ihre Arbeit an der Brennerbahnstrecke niederlegen und in den Krieg ziehen.

Karl von Etzel erlitt am 23. November 1864 einen Schlaganfall, musste alle seine Ämter niederlegen und starb am 2. Mai 1865. Seine Mitarbeiter, Achilles Thommen, Wilhelm Pressel, Julius Lott und Wilhelm Hellwag führten die begonnene Arbeit zu Ende.

Etzel hatte alle vorhergehenden Entwürfe zur Brennerbahn verworfen und aus Zwang zu äußerster Sparsamkeit eine Trassenführung gewählt, die möglichst wenig Tunneldurchbrüche erforderte. Auch auf einen Tunneldurchstich der Brennerhöhe verzichtete er. Noch heute ist der Brennerübergang der höchstgelegene Passübergang einer Bahnstrecke. Die Planungen sahen einen maximalen Neigungswinkel von 25 Promille (nördlich des Brenners) bzw. 22,5 Promille (südlich des Brenners) und 15 Promille (zwischen Brixen und Bozen) vor, was zwei Umfahrungen der Steigung auf die Passhöhe erforderlich machte: eine nördliche bei St. Jodok und eine südliche im Pflerschtal. Im Vergleich zur vorhergehenden Planung Ghegas betrug die Strecke nunmehr 36 Kilometer weniger (125 statt 161). 29 Tunnels wurden erforderlich, davon befanden sich nur acht südlich des Brenners – allein fünf davon entlang des Kuntersweges, der Via Mala Südtirols, zwischen Waidbruck und Kardaun.

Allerdings mussten mit achteinhalb Millionen Kubikmetern Fels und Erde gewaltige Massen bewegt werden. Wasserläufe wurden reguliert und das Sumpfgebiet südlich von Sterzing mit einem Trassendamm durchquert werden. Die undurchdringlichen Felsmassen erforderten Befestigungsbauten für die Wasserinfiltrationen,. Brücken und Kanäle mussten errichtet werden.

Auch für den Bau der Bahnhöfe beschritt Karl von Etzel neue Wege: Er besetzte die Hochbauabteilung mit einem erstklassigen Architekten, Wilhelm von Flattich, ebenfalls ein gebürtiger Württemberger, der seit 1855 als Oberingenieur bei den südlichen Staatsbahnen gearbeitet hatte. Diese hatten sich durch die Berufung von Jean Maniel (Paris) als Generaldirektor nach Wien aufgrund seiner Hochbauerfahrungen in Frankreich bereits durch die hohe architektonische Qualität der Bahnhöfe (z.B. entlang der Strecke Verona-Bozen unter dem Architekten Moritz Löhr) einen Namen gemacht. Unter Maniels Anleitung entstanden die ersten Hochbau-Normalien.

Wilhelm von Flattich baute darauf auf und entwickelte für die Bahnhöfe der Brennerbahn (und später auch für diejenigen entlang der Pustertallinie) Normpläne für alle nur voraussichtlichen Fälle und Detailfragen, also von den Lageplänen bis zu den Ausführungsplänen. Dieses Typenrepertoire dienten den ausführenden Planern und Ingenieuren als Grundlage für die Anpassung an die jeweilige örtliche Situation. Größere Bahnhöfe wurden von der Generaldirektion unter von Flattich gesondert im Rahmen der Typisierung entworfen.

Auffallend ist bei der Typisierung die Auffassung der Bahnhöfe als multifunktionale Strukturen, die alle Serviceeinrichtungen wie Lokschuppen, Magazine, Stellwerke, Wasserstationen, Brunnen und Werkstätten umfasste, alle funktional, wirtschaftlich, dauerhaft und gestalterisch anspruchsvoll durchgebildet zu sein hatten. Dieser ganzheitliche Ansatz macht heute noch den bauhistorischen Wert der Bahnhöfe entlang der Brennerstrecke aus, ein Wert, der in Europa einmalig ist.

Nach nur dreieinviertel Jahren Bauzeit, am 18. Mai 1867, findet die erste Probefahrt einer Lokomotive von Bozen nach Innsbruck statt. Am 25. Juli fährt ein ganzer Zug über den Brenner. Am 17. August wird die Strecke für den Güterbetrieb und am 24. August für den Reiseverkehr geöffnet. Damit war die Verbindung zwischen München und Verona vollendet.

Bereits 1871 ist die Strecke durch das Pustertal nach Lienz fertiggestellt. Dadurch erhält der Bahnhof Franzensfeste als Umsteigebahnhof eine besondere Bedeutung und wird weiter ausgebaut.

Am 24. Mai 1915 tritt Italien in den Krieg gegen Österreich ein, was der Brennerstrecke eine besondere militärische Bedeutung verleiht. Mit dem Vertrag von Saint-Germain 1919 wird die italienische Grenze an der Brennerlinie von Borghetto (Grenzbahnhof war in Ala) an den Brenner verlegt und die Italienische Staatsbahn FS übernimmt ab 1. August in diesem Bereich den Betrieb der Südbahn, die damit aufgelöst wird. Am Brenner wird 1922 der „Stern“ zum Wenden der Lokomotiven errichtet und ab 1923 kann die gesamte Strecke Verona-Brenner zweigleisig befahren werden.

1924 erhält der römische Architekt Angiolo Mazzoni von der Bauleitung der FS in Rom den Auftrag zur Umplanung der Bahnhöfe Brenner, Franzensfeste und Bozen. Franzensfeste erhält so bereits in diesem Jahr ein neues Lokomotivdepot, für das sogar ein Berghang abgetragen werden muß.

1925 bzw. 1927 beginnen die Umbauarbeiten für die Bahnhöfe Brenner bzw. Bozen, wo 1928 auch ein neues Lokomotivdepot errichtet wird. In den gleichen Jahren werden ebenfalls nach den Plänen Mazzonis zahlreiche Wohngebäude für das Eisenbahnpersonal entlang der Südtiroler Eisenbahnlinien errichtet, die sich durch eine spezifische Architekturhaltung auszeichnen.

Am 11. November 1937 wird am Brenner ein weiteres Stationsgebäude von Mazzoni zwischen den Geleisen eröffnet. Hier treffen sich die beiden faschistischen Machthaber und Massenmörder Mussolini und Hitler mindestens dreimal zu Gesprächen.

1940 wird der Speichersee an der Franzensfeste fertiggestellt. Die Anlage liefert den Strom für die Elektrifizierung der Brennerlinie. Im gleichen Jahr tritt Italien an der Seite Deutschlands in den zweiten Weltkrieg ein. In der Folge wird die Brennerlinie als wichtigste Nachschublinie der deutschen Wehrmacht nach dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Italien und den Alliierten und deshalb wiederholt bombardiert. Im November 1944 sind die Zerstörungen an den Bahnhöfen am schwersten. Am 21. März 1945 wird der Bahnhof Brenner durch zahlreiche Bomben getroffen und zerstört.

Bereits Ende Juni 1945 wird der Verkehr auf der Brennerlinie wieder aufgenommen und der Wiederaufbau der Bahnhöfe Brenner und Bozen begonnen. Der Vertrag De Gasperi / Gruber vom 5. September 1946 gewährt die freie Durchfahrt über die Brenner- und Pustertallinie von Innsbruck nach Lienz. 1951 und dann in den 60er Jahren wird der Bahnhof Franzensfeste vor allem für die Viehtransporte aus Bayern nochmals erweitert. Ähnliche Arbeiten werden am Brenner vorgenommen.

Seit 1953 wird mit den Plänen August Dresslers die Planungsphase für eine neue Brennerlinie eröffnet, die mit den Überlegungen über die Erstellung eines Brennerbasistunnels bis 2008 erst im Jahre 2003 ihren Abschluss fand. Dazwischen wurden ab 1984 zahlreiche Modernisierungen, betriebstechnische Erneuerungen und vier Streckenveränderungen entlang der Brennerlinie vorgenommen. Dazu gehörte die Stillegung der alten Umfahrung und des Tunnels im Pflerschtal sowie die Aufhebung der alten Streckenführung entlang des Kundersweges. An beiden Streckenabschnitten wurden neue Tunnelanlagen für größere Transportkapazitäten und höhere Geschwindigkeiten gebaut.

Im Laufe dieser Jahre wurden 14 Bahnhöfe und Haltestellen aufgelassen: Brennerbad, Schelleberg, Pflersch, Mauls, Grasstein, Mittewald, Vahrn, Albeins, Villnöß, Kastelruth, Atzwang, Völstersteig, Blumau und Kardaun. Für viele dieser Bahnhöfe gibt es keine neue Nutzung und sie sind vom Verfall bedroht bzw. bereits verschwunden. Diese Verluste an historischer Bausubstanz werden mit dem Bau des Brennerbasistunnels noch bedrohlicher werden. Es ist deshalb allerhöchste Zeit, die historischen Bahnhöfe entlang der Brennerstrecke als einzigartiges Dokument technischer Bauwerke von europäischem Rang unter Ensembleschutz zu stellen.

Was ist nur mit der Politik in Südtirol für den öffentlichen Verkehr los? Der Zug hält nicht mehr und die Busse fahren zu Unzeiten, sind keine wirkliche Alternative zum Auto. Warum kann auf der Brennerstrecke nicht eine Art „Métro“ in kurzen Abständen (viertelstündlich etwa) zwischen Bozen und dem Brenner verkehren? Dies wäre das gleiche Angebot was große Städte mit ähnlicher Streckenausdehnung und ähnlich viel Menschen entlang einer Strecke dieser Ausdehnung ihren Bewohnern machen. Hierfür Steuergelder als Zuschüsse zu verwenden ist sicher umweltfreundlicher als der rennstreckenmäßige Ausbau der Staatsstraßen.
Diese Überlegungen können m.E. allerdings erst dann greifen wenn der Brennerbasistunnel die jetzige Brennerstrecke spürbar von einem überregionalen Schienenverkehr entlastet, der sich in den kommenden Jahren noch deutlich erhöhen wird (Allerdings gibt es in vielen Großstädten Verbundsysteme, in denen das Nebeneinander von Fernzügen und Nahverkehrszügen auf teilweise den gleichen Schienenstrecken hervorragend funktioniert). Dann wird ein in kurzen Abständen verkehrender Bahnshuttle realistisch. Dadurch würde nicht nur ein reale Alternative zum immer stockender werdenden Individualverkehr mit seinen unerträglichen Belastungen der Umwelt geschaffen – es könnten auch die stillgelegten Haltepunkte mit teilweise noch gut erhaltenen Gebäuden wieder geöffnet werden.

Besonders hervorgehoben werden soll an dieser Stelle die einfühlsamen Architektur Angiolo Mazzonis im Zusammenhang mit den historischen Bauten der Brennerbahn. Mazzoni entwickelte sie gegen den Widerstand des faschistischen Verkehrsministers Ciano für die Eisenbahnerwohnhäuser entlang der Brennerstrecke (und im Pustertal) - eine Architektursprache, die man nur als genial im Hinblick auf ihre eigenständige Einfügung in die Südtiroler Berglandschaft bezeichnen kann. Ihm wurde in völliger Verkennung dieser Qualitäten eine gestalterische Anbiederung an den „Pangermanismus“ (offenbar ein Schreckgespenst der Mussolinizeit) vorgeworfen. Es handelt sich vielmehr um grundsolide, dauerhaft nachhaltige Gebäude, die – ähnlich wie bei Wilhelm von Flattich - auf einer Typologie beruhen aber in jedem einzelnen Falle geistreich und ortsverbunden abgewandelt wurden. Sie gehören heute zu den besten Beispielen von Wohnbauten für technische Einrichtungen im gesamten Alpenraum. Dies sollte auch von jenen anerkannt werden, die unter dem Faschismus gelitten haben und deshalb jede Erinnerung daran – auch in baulicher Form – ablehnen und diskriminieren.